Trauerrede von Renate Künast für Anne Klein

Die Frauenrechtlerin Anne Klein ist am 23. April 2011 verstorben. Wir dokumentieren die Trauerrede von Renate Künast. 

Liebe Babsi, liebe Trauergemeinde,

Zum Gedenken an Anne Klein haben wir uns heute zusammen gefunden.

  • Abschiede sind schwer - für die, die gehen.

Und so war es auch für unsere Anne, die gar nicht gehen wollte, sondern noch so viel erleben wollte, so viel tun wollte - als die brutale Diagnose sie traf. Aber immerhin wurde Anne von Barbara und von vielen Freundinnen und Freunden getragen. Anne war tapfer und gleichzeitig verzweifelt.



Im Abschied nehmen wissen wir aber: ihr letztes halbes Jahr war eben nicht nur von der Angst und Sorge und Schmerz dominiert, sondern von viel Zuwendung, von Freundschaft und noch ein wenig Freude.



Der gemeinsame Blick aufs Meer zu ihrem Geburtstag am 2. März war einer ihrer Träume. Das wollte sie noch sehen: das Meer. Und den Frühling, die ersten Blätter und Blüten.



Was Anne; die immer ihre Freundschaften pflegte und lebte, damit noch geschafft hat, hat die, die dabei waren beeindruckt. Das Wort Freundschaft war fast physisch zu spüren. Und Anne hat sogar unter den Freundinnen und Freunden dort neue nahe Beziehungen geschaffen.

  • Abschied nehmen ist auch schwer für die, die bleiben und das weitere Leben neu regeln müssen. Wenn einen das Gefühl trifft, jemanden unwiederbringlich zu verlieren.

Abschied nehmen sollte heißen: sich vergegenwärtigen was Anne Klein gelebt hat, was sie in unserem Leben bedeutet hat, was Anne bewegt hat. Was wir weiter führen wollen, weiterführen werden.



Ich bin sicher, dass dann klar ist: was Erinnerung in uns ist und bleibt. Das hat sie in unserer Stadt Berlin, im ganzen Land bewegt, verändert und das bleibt auch. Weil es zur Grundlage für eine andere Gegenwart und Zukunft geworden ist.



Eins wissen wir: Anne Klein hat die Welt verändert und die Welt hat Anne Klein verändert.



Ich will mich mit Ihnen, mit Euch auf den Weg machen und einige Blicke auf

Annes Leben werfen. Dazu gehen wir auf den Anfang.

  • Wir wissen: Das Leben lebt man vorwärts, nicht rückwärts.

Man weiß nicht, welche Erfolge oder Misserfolge man haben wird, welche Hürden, welche Freundschaften, welche Schläge und wann es endet.



Und so begreifen wir Anne Klein auch nur, indem wir zurückgehen und es von dort aus betrachten. Die Gesellschaft, die Normen, Werte und Rechte waren nicht was sie heute sind. Rückwärts kann man ein Leben nicht begreifen, weil man die Emotionen, die Sorgen, Nöte , die Zwänge, Klischees und Tabus von damals nicht versteht.





Anne Klein wurde vor 61 Jahren am 2. März in Körprich, einem kleinen Ort im Landkreis Saarlouis geboren.



(Herzlichen Dank an dieser Stelle an Michaele Schreyer, die vor kurzem noch mit Anne in einer Art Interview auf ihr Leben zurückblickte. Deshalb kann ich hier auch Anne zitieren.)



Sie sagt:

„Meine Kindheit war geprägt von ländlicher Idylle in einer absolut perfekten, schönen Umwelt. Meine Eltern hatten ein kleines Grundstück, auf das nach dem Krieg, als mein Vater aus der Gefangenschaft kam, sofort gebaut wurde- an einem schönen mit Pappeln bestandenen Bach in einem süßen kleinen Tal, wo wir Kinder von morgens bis abends spielen konnten.Ich hatte eine sehr schöne Kindheit.“



Anne ist aufs Mädchengymnasium gegangen. Was ihre Eltern eigentlich nicht wollten, weil nach der Schwester und dem Bruder die Mutter meinte, jemand müsse doch zuhause bleiben. Aber Anne hat gekämpft und die Lehrer haben ihr geholfen.



Anne war sportlich, was immer man auf dem Lande machen konnte - auch

Schlittschuhlaufen auf zugefrorenen Seen.



Zitat: „Ich hatte den Wunsch der Mädchenrolle zu entrinnen sehr früh. Ich bin auch deshalb täglich mit dem Fahrrad zur Schule gefahren, weil ich das Fahrgeld, das ich dadurch gespart habe, dann als Taschengeld bekam.“



Da kann ich schmunzelnd nur sagen, wir erkennen sie alle wieder.



Und warum war Anne so ausgesprochen frankophil und versprühte das Gefühl,

dass man seinen Blick erweitern sollte?



Das Saarland hatte bis zur Volksabstimmung 1955 noch einen Sonderstatus.



Sie sagt von sich:“ Ich bin in den ersten Jahren als Französin – als Protektorats- Französin aufgewachsen“. Ein Großvater hatte einen Bauernhof direkt an der französischen Grenze, eine Großmutter kam aus dem Elsass und die brachte ihr das französische Kochen und das Wein trinken bei. Wie wir wissen ist da wohl der Genussmensch entstanden.



Von den tollen Einladungen und Bewirtungen und der Begeisterung von Anne

dafür wissen wir, das erinnern wir.



Was erinnere ich noch, wenn ich an Anne denke:

  • Anne hat den Mund aufgemacht. Anne konnte sich ausdrücken.

Sie arbeitete in der Chefredaktion der anspruchsvollen Schülerzeitschrift „ceterum censeo“ mit, wegen allzu frecher Artikel ließ der Ärger mit der Schulleitung und den Eltern nicht lange auf sich warten.



Anne war begeistert vom Schreiben; wollte lange Zeit Journalistin werden. Was ihre Eltern nicht für etwas Vernünftiges hielten.

  • Anne hat den Mund aufgemacht, sich für andere eingesetzt und damit auch intensive Bindung ausgelöst.

Mir ist sehr präsent, wie sie uns ihre erste wichtige Freundin Margret vorgestellt hat. Eine in den letzten Monaten immer wieder erzählte Geschichte. Mit einer starken emotionalen Erinnerung.



„Sie kam im laufenden Schuljahr in die Schulklasse. Die Tür ging auf und alle starrten sie an, weil sie wegen Kinderlähmung eine Behinderung hatte.

Die Situation muss sehr peinlich gewesen sein und eine unerträgliche Zumutung für das Mädchen.



Anne brach das Eis mit den Worten: „Du kannst Dich zu mir setzen“. Wohl der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die sich in den letzten Monaten wieder zeigte.



Und sinnbildlich geht mir die Aussage nicht aus dem Kopf.



Mit kämpferischen Unterton hat sie dies erzählt: „Du kannst Dich zu mir setzen.“ Ein Satz, eine schützende Geste, eine Bereitschaft zum Engagement, die für Anne Klein typisch ist. Das ist der Gestus, den wir in Anne Kleins Leben immer wieder finden werden.



Es folgt das gemeinsame Psychologie-Studium der Freundinnen in Saarbrücken.

Aus dem dann schnell ein Studium der Rechtswissenschaften wurde.



Darüber haben wir gemeinsam geredet, dass das Recht die Strukturen der Gesellschaft vorgibt, Ausdruck von Macht ist. Patriarchale Werte und Interessen in Strukturen umsetzt. Und Anne konnte und wollte das nicht hinnehmen.



Ich denke, da hat sich Annes Suche nach Freiheit von der bisher tradierten Mädchen und Frauenrolle überschnitten mit der Erkenntnis: dies ist nicht nur ihr individuelles Streben oder Problem. Es sind die Strukturen, die die Ungleichheit von Frauen und Männern in der Realität zementieren.

Ihre Frage war nur: wie gehe ich damit individuell um und was tue ich in dieser Gesellschaft?

  • Anne wollte als erstes Mal Freiheit. Und frischen Wind um die Nase.

Und das hat sie erst mal auf die Reise geschickt.

Welche Begeisterung in den Augen, wenn sie von ihrer Zeit als Reiseleiterin, ob Paris oder Asien, Afghanistan erzählte. Motorradfahrend erkundete sie neue Reiserouten. Heute ist das selbstverständlich, damals war das als junge Frau besonders mutig.



Man lebt das Leben vorwärts und ahnt gar nicht, weiß nicht, was noch alles

kommt. So wurde sie eben erst mal Reiseleiterin.

  • Und dann kam sie nach Berlin.

Hier machte sie das Referendariat. Und es folgte ein letztlich erfolgloser Versuch parallel an der Film- und Fernsehakademie zu studieren, weil der Journalismus sie reizte.



Und dann hat sie sich dem Werkzeug Juristin / Anwältin zu sein quasi mit Haut

und Haaren verschrieben. Sich für einen Weg entschieden.

  • Anne Klein hielt nicht viel von den einfachen Aufgaben. Sie ist gleich auf das schwierige los, mit ungeheurer Kraft.

Im Januar habe ich Anne versprochen hier zu reden. Auch das hat Anne genauestens geplant. Und dann habe ich wie andere erlebt, wie sie ihre Kräfte verlassen und wie sehr sie darunter litt.



Aber mir wurde dabei auch immer bewusster, dass Anne Klein Kraft war. Kraft eingesetzt hat, um Ungerechtigkeit zu beseitigen.



Und immer war da ein: Ich will leben. Es muss doch noch ein anderes, besseres Leben geben. Nicht nur für mich, sondern auch für andere.



Ende der 60er, in den 70ern war viel Bewegung, aber sie war von Männern bestimmt. Die Bewegung wollte das Leben, das Land revolutionieren, aber sie taten es faktisch nicht für die Lebenssituation der Frauen.



Das mussten die Frauen selbst tun, so flogen die Tomaten auf die männlichen Autoritäten und die, die sich dafür hielten und es wurde begonnen eigene Interessensstrukturen auszubauen.



Aber was Anne auszeichnete: sie ist dabei persönlich immer weiter geworden. Hart, klar und unbestechlich in der Sache.



Sie arbeitete mit bei Frauenzeitschriften, um auszudrücken, was die Probleme der Frauen sind. Sie half Frauenhäuser zu gründen, weil die Gesellschaft, die Politik und die Gerichte die Frauen nicht geschützt haben.

  • Die Gründung einer Frauenkanzlei war ein weiterer Schritt.

Ein mutiges Projekt. Von damals aus betrachtet.



Dass sich Frauen unabhängig von den Männern in einer Kanzlei sortieren, hat Irritationen ausgelöst. nicht nur die Gründung war ungewöhnlich. Nein, es schauten viele drauf und fragten: ist das nötig?



Aber, man merke: Zwei alte Herren Rechtsanwälte vermieteten günstig Räume und wider alle Zweifel ging es los.



Alte Klischees wurden ihnen entgegengehalten. Das wird finanziell nicht gehen, Frauen haben kein Geld.



Die Größe der Leistung und den Mut verstehen wir nur, wenn wir auf die rechtliche und gesellschaftliche Situation blicken. In Wirtschaft und Politik gab es an der Spitze kaum Frauen.



Eine Interessenvertretung der Frauen in Landtagen und Bundestagen war kaum wahrnehmbar.



Erst die große Familienrechtsreform Ende der 70er beendete den Status des Ehe-Mannes als Haushaltsvorstand, beendete die Rechtslosigkeit der Frauen denen der Gatte das Arbeitsverhältnis kündigen durfte, schaffte ihnen Unterhaltsansprüche , wenn sie ihren Ehemann verließen.



Aber Gesetzeswirklichkeit ist noch lange nicht das wirkliche Leben im Alltag einer Frau. Das war ein weiterer langer Kampf, der auch noch eine gehörige Wegstrecke vor sich hat.

  • Anne war auch wütend und zornig.

Auf die Herren Richter, die nach der Reform ihre eigenen Lebensentwürfe und Vorstellungen als Maßstab der Rechtsprechung nahmen und nicht das neue Recht.



Und Anne kämpfte wie eine Glucke für ihr Küken - um die Rechte der Frauen. Machte ihnen Mut nach dem Ende einer Beziehung auch auf ihrem guten Recht

zu bestehen.



Eine Rolle, der sie sich mit Haut und Haaren verschrieben hatte und die sie bis zum Ende nicht lassen konnte. Noch in den letzten Wochen hat sie vom Krankenhausbett aus mit Verve und letzter Energie eine Krankenschwester bei der Scheidung beraten und den Termin organisiert. Ich wollte es kaum glauben, als sie mir stolz davon erzählte.

  • Und Anne war unbequem um der Sache willen.

Auch all den Anwälten des, nennen wir es mal so - linken Anwaltsspektrums -

ließ sie nichts durchgehen. Sie war nicht gegenüber den Kollegen, sie war gegenüber ihren Ideen und Werten loyal.



Die Frage lautete: Darf Mann Vergewaltiger verteidigen? Und falls ja, wie soll das geschehen? Damit der Prozess und die Vernehmung als Zeugin nicht bedeutet, dass sie die Vergewaltigung ein zweites Mal erfahren. Der Pulsstrassen-Prozess löste einen echten Aufruhr in der Stadt aus.

  • Ich sag noch mal: man lebt das Leben vorwärts, nicht rückwärts.

Was aus heutiger Sicht selbstverständlich ist und viele Richter als Methode oder Frage gegenüber der Frau gar nicht mehr zulassen würden, was heute selbstverständlich Bestandteil der Ausbildung von Polizeibeamten ist, bis zum Recht auf die Ehewohnung, für das alles hatte das Justizsystem keinen Raum. Wer immer wieder und beharrlich mit dem Finger darauf wies, war störend und man machte sich lustig über diese. Das war menschlich sehr anstrengend.

  • Aber Anne war mutig und beharrlich. Mit anderen Frauen gemeinsam.

Daran sind Freundschaften gewachsen und Vertrauen, das hat Anne immer gepflegt, bis ans Ende.

  • Anne hat gerungen mit der Frage, wie Strukturen geändert werden können und dabei konnte sie sogar ihre Meinung ändern.

In den 70er Jahren gab es Sommeruniversitäten der Frauen. Auf der 4. im Sommer 1979 hat sich Anne Klein Gedanken gemacht über die Werkzeuge, die Frauen brauchen um Diskriminierung abzubauen. Ja, überall fand das statt: in der Courage, der Emma, in jeder Wohngemeinschaft, in den Kneipen. Und die

erlittene Diskriminierung war vielfältig.



Ihr Vortrag hatte den Titel: Brauchen wir ein Antidiskriminierungsgesetz? Eine Debatte, die auch ausgelöst war durch die EG-Kommission Ende 1977, die den Mitgliedsstaaten die Untersuchung von Frauendiskriminierung im Erwerbsleben zur Aufgabe machte.



Und Anne Klein war noch wütend über das Vorgehen von Staatsanwälten, Polizisten und Richtern bei all den Gesetzen, die schon galten, aber nicht richtig angewandt worden. Deren Interpretationen und damit ihr Bewusstsein interpretiert das Gesetz und wendet es an.



„Was nützt uns ein Gesetz?“ lautete die kritische Frage.

Und etwas später: „ Es ist ein verändertes Bewusstsein was uns helfen kann, aber nicht ein neues Gesetz.“



Sie machte den Vorwurf an Frauen, dass sie im Rahmen der Debatte um ein Antidiskriminierungsgesetz aufgesogen werden in den Institutionen und faktisch patriarchale Strukturen nur nachbauen.



Sie war sehr intensiv, die Debatte um die Werkzeuge. Damals standen Frauen vor den herrschenden Strukturen wie vor einer großen Mauer und drohten und sorgten sich dort unterzugehen. Das galt auch für andere Politikbereiche; die eine Verweigerung gegenüber den Institutionen diskutierten, um sich selber zu schützen. Auch weil es damals unvorstellbar schien, diese verändern zu können.

 

  • Aber dann gab es ein neues Werkzeug, eine neue größere Plattform; gegründet von Umweltbewegung, Anti-AKW-Bewegung, Friedensbewegung und Feministinnen: DIE GRÜNEN.

Und folglich bald eine grüne Bundestagsfraktion.



Waltraud Schoppe hat, als sie Abgeordnete wurde, Anne Klein nach Bonn geholt. Und da ging die Debatte gleich weiter, sie traf wieder auf die gleichen Strafverteidiger. Für Anne war klar, eine Fraktion im Bundestag, das gibt für den Kampf für Gleichheit und gegen Diskriminierung eine weitere Chance. Anne war natürlich wie immer gut vorbereitet. Da wurde die GO des Bundestages gepaukt und ein Antrag auf mehr Geld für den frauenpolitischen Arbeitskreis gestellt.



Für Anne war das ein Lebenselixier, das war Aufbruchstimmung.

Lange Debattenabende mit Waltraud Schoppe, Petra Kelly, die aus ihren US-Erfahrungen zeigte wie Vernetzung geht, Ulrike Riedel, Gaby Potthast, Regina Michalik, Sozialdemokratinnen wie Herta Däubler und Renate Schmidt.



Anne hat Petra Kelly bewundert und meint immer noch, dass deren

Feminismus nicht hinreichend gewürdigt wurde.

 

  • Und dann kam die Vorbereitung von mutigen Reden für den Deutschen Bundestag:

Anne wusste noch ganz genau, welche Reden sie mit vorbereitet hat. Der Saal schnaubte als Waltraud Schoppe ihre Rede trotz alledem zu Ende brachte. In einer Situation in der Frauen, auch im Bundestag noch offen diskriminiert wurden.



Ich zitiere aus dem Buch: Einspruch! Reden von Frauen, Reclam 2011, Seite 162 ff



Und wundern Sie sich nicht, ich zitiere die rhetorische Analyse und nicht die Rede selbst, weil man nur so den Mut der Frauen damals begreifen kann.



„Schoppes Rede beginnt eher traditionell, indem sie das „Leiden“, die „Not“ und die großen „Schwierigkeiten“ der Frauen beschreibt, die einen Schwangerschaftsabbruch als einzigen Ausweg aus einer Notsituation erscheinen lassen. Nach diesem sachlich-sozialpathetischen Auftakt führt ihre Rede jedoch mitten in die deutschen Schlafzimmer hinein. Schoppe macht das Privat politisch. Von Penetration oder Lust war im Bundestag noch nie die Rede gewesen. Dass eine Frau in diesem Gremium sexuelle Themen anschneidet und beim Namen nennt („fahrlässige Penetration“ oder „lustvolle Formen des Liebesspiels“), ist skandalös. Sie bringt damit nicht nur ein Thema in das „hohe Haus“ ein, das dort nicht als politikfähig gilt, sie stellt es auch rhetorisch in einer Weise dar, die dem „hohen Ton“ in diesem Haus ganz und gar nicht entspricht.

Was im Schlafzimmer vor sich geht, ist Folge einer bestimmten Politik und hat Folgen für die Politik. Schoppe beschreibt Sexualität als einen „Akt von Herrschaft“ und zwar von patriarchaler Herrschaft. Indem die Politik Vergewaltigung in der Ehe straffrei lässt und bei Abtreibung lediglich die Frau zur Verantwortung zieht, schreibt die Politik, so Schoppes Vorwurf, diese patriarchale Herrschaftsmuster fort. Brisant wird ihre Analyse deshalb, weil sie nicht nur frauenfeindliche Strukturen in der Gesellschaft anspricht, sondern ihren Vorwurf ganz konkret an die Politik – und das heißt an die Politiker – richtet. Nicht nur draußen im Lande, sondern hier im Parlament sind die Verantwortlichen zu finden: „Wir fordern Sie alle auf, den alltäglichen Sexismus hier im Parlament einzustellen.“ Die pikierten, erregten, erheiterten Reaktionen auf ihre krasse Konfrontation nimmt Schoppe als Bestätigung: „Ich merke, dass ich das Richtige gesagt habe; Sie sind getroffen.“ Die rhetorische Strategie des personalisierten Angriffs schafft Schoppe Aufmerksamkeit: Der Satz geht durch die Republik.

Waltraud Schoppe schlägt dagegen eine wirklich neue Politik vor, eine, die Männer und Frauen zu gleichberechtigten Partnern macht. Politik ist dann nicht mehr Männersache, Kindererziehung nicht mehr Frauensache und Sexualität frei von Unterdrückung.

Die tumultartigen Reaktionen im Plenum halten noch lange nach Schoppes Rede an. Offensichtlich fühlen sich einige Parlamentsangehörige in ihrem männlichen Selbstverständnis getroffen. Der folgende Sprecher, Detlef Kleinert (FDP), sieht sich sogleich zur Verteidigung genötigt: „Wir sind nicht halb so verklemmt“, wie von den Grünen vermutet. Aber dieses Thema tauge „nicht als Gegenstand von Plenardebatten“. Als ihn die Grüne Petra Kelly unterbricht, ob er Vergewaltigung in der Ehe auch unter Strafe stellen wolle, antwortet Kleinert mit einem klaren Nein. Seine Begründung ist zeittypisch: Der Staat solle nicht durch Gesetz in den Intimbereich der Familien eingreifen. Es seien nun mal beim Beischlaf nur zwei Menschen dabei, vor Gericht stehe das Wort de einen gegen das des anderen, das führe in der Praxis zu Beweisschwierigkeiten, Erpressung und Fehlurteilen. Damit sei letztlich das ganze Rechtssystem bedroht. Nicht das Opfer ist nach dieser Argumentation zu schützen, sondern das Rechtssystem und die Institution Familie. Erst 1997, fünfundzwanzig Jahre nach dem ersten sozialdemokratischen Vorstoß und vierzehn Jahre nach Waltraud Schoppes aufsehenerregender Rede wird Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand ins deutsche Gesetzbuch geschrieben.“ (Zitat Ende)



Das ging auch nicht ohne harte Debatten innerhalb der grünen Fraktion. Von da aus wurde der Parlamentarismus weiter verändert.



Feminismus in die grüne Politik aufnehmen, war die Aufgabe, aber auch Frauenausschüsse in Parlamenten, Frauenpolitik als Querschnittsaufgabe eines Ministeriums durchzusetzen. Heute alles selbstverständlich.



Aber Anne wusste immer noch: die Anwendung, die ganz konkrete Anwendung ist das Entscheidende und deshalb muss das Bewusstsein in der Gesellschaft

sich ändern ...



Wie geht das? Ihr werdet Euch wundern!

  • Anne forderte dann doch ein Antidiskriminierungsgesetz.

Anne Klein und Gabriele Volmary haben es 1985 entworfen, zusammen mit der BAG-Frauen und Regina Michalik für den Bundesvorstand.



„ Faktisch sind Frauen bis heute nur in verschwindend geringem Maß in gesellschaftliche Entscheidungen einbezogen.“



Im ADG ging es um: gleichen Zugang zur Arbeitswelt, Schutz vor gewalttätigen Übergriffen ( auch durch die Ehemänner), Verbot der Diskriminierung durch Medien und Werbung, Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruches.



Und in der Begründung steht, was heute noch Gültigkeit hat: dass das ADG „ein“ Mittel ist.



Das Ziel war auch: die öffentliche Diskussion über Wege der Beendigung von Diskriminierung von Frauen. Das fand ich doch immer faszinierend, dass Anne immer differenzierter wurde, die Vielfalt der Werkzeuge nutzte und verstehen wollte. Anders als damals auf der Sommeruniversität war jetzt die öffentliche Debatte über ein solches Gesetz ein Wert an sich.



Wir haben in diesen Zeiten begonnen zu lernen, was heute selbstverständlich erscheint: einen ganzen Werkzeugkasten mitzunehmen. Nicht von jeder und jedem alles und absolut zu fordern, nicht neue Raster für richtiges oder falsches Leben aufzusetzen.

 

  • Anne war eine solche Protagonistin. Hart in der Sache, aber die Menschen nach sich selbst beurteilen, ohne Klischees.

Anne wusste und analysierte immer mehr und erkannte das Phänomen der „kommunizierenden Röhren“. Der Kampf um den § 218 brachte nicht nur mehr Rechte für die Frauen, sondern auch mehr Kinderbetreuung und damit Unabhängigkeit.

  • Anne konnte auch mal ängstlich sein und Unterstützung annehmen

1989 in den Iden des März wurde in Berlin die erste rot-grüne Landesregierung installiert. Alles war in heller Aufruhr: der Verfassungsschutz, die Wirtschaft, der ADAC, Eberhard Diepgen und seine CDU und die AL natürlich auch. Sagenumwogen die Art und Weise der Senatorinnenfindung.



Anne wurde auserkoren auf der Damentoilette, hektisch und nicht ohne Neid anderer. Aber sie hatte einen bekannten Namen, bekannte Taten und - siehe da - klare Feministin sollte schon sein. Das war die Zeit, wo ich sie intensiver kennenlernte und unsere große Freundschaft wuchs.



Anne war die erste offen lesbisch lebende Ministerin. Eine Symbolfigur, die all die wilden Dinge umsetzte, die wir verhandelt hatten. Umsetzen war schwerer als verhandeln. Und dann noch all die öffentlichen Kommentierungen aushalten, die ihr zuteil wurden.



Da musste man Anne mit ihrem Perfektionismus und ihrer Arbeitswut beginnen vor sich selbst zu schützen.



Vielleicht war das eine ihrer schönsten, aber auch sicher schwersten beruflichen Zeiten. Zwei sehr intensive und aufregende Jahre, auf die sie stolz war. Zu Recht.



Sicher hat sie das erste Gesetz- und Verordnungsblatt mit ihren Beschlüssen archiviert. Ich bin so sicher, weil sie mir umgekehrt mein erstes GVBL samt Widmung zum Archivieren zuschickte.







Ich kann hier gar nicht alles würdigen, aber Beispiele:

  1. Es begann mit den unvermeidlichen Kämpfen zwischen den Ressorts um die Frauenzuständigkeiten (sie wurden trotzdem Freundinnen).
  2. Die Einrichtung des Lesben und Schwulenreferates in der Senatsverwaltung.



    Das war der Einstieg in eine Lebensweisenpolitik, in das Aufdecken und die Beseitigung bestehender Diskriminierungen. Aber auch, dass sich nach langer Unterdrückung und Diskriminierung erstmals eine Verwaltung ( unglaublich!!) dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes annahm und das soziale, kulturelle und politische Leben von Lesben und Schwulen in den Blick nahm. Heute haben das alle Koalitionsvereinbarungen in Baden Württemberg, Rheinland-Pfalz und NRW selbstverständlich!
  3. Das Berliner Antidiskriminierungsgesetz



    Zitate aus Annes Vorstellung der Leitlinien:

    „Das LADG soll mehr bewirken als nur die formale Gleichstellung: es sieht z.B. vor, die Diskriminierung von Frauen zu ahnden, Ämter und Mandate paritätisch zu verteilen und für Ausbildungs- und Arbeitsplätze in der öffentlichen Verwaltung die Realisierung von Quoten zu sichern.



    Wir brauchen ein solches LADG, um den Gleichberechtigungsartikel zu konkretisieren und umzusetzen. Das Gesetz soll in der Öffentlichkeit eine Signalwirkung entfalten und vor allem auch eine Bewusstseinsänderung einleiten.



    Das LADG will den wie selbstverständlich praktizierten (heimlichen) Männerförderplänen eine offensive Frauenförderung entgegensetzen. Auch wenn das LADG die Vor-Herrschaft der Männer in Gesellschaft und Beruf nicht von heute auf morgen beseitigen kann, so ist es für Frauen ein Mittel, die ihnen vorenthaltenen Rechte einzuklagen, sie stärker als bisher an gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen zu beteiligen.“



    Am 12.Januar 1991 im GVBl - ich enthülle: wir haben es damals durch die Vorgaben der Parallelgesetzgebung Stadtverordnetenversammlung und Abgeordnetenhaus gemogelt.
  4. Noch vieles andere: zum Beispiel die intensive Arbeit für Mädchenwohnungen: Die logische Ergänzung der Gründung von Frauenhäusern
  5. Und dann Zypern. Du meine Güte: Anne konnte sich trefflich aufregen über andere Ungerechtigkeiten an anderen Orten und sie fuhr auch noch hin. Ich muss ihnen ein Bsp. erzählen, mit dem sie uns am Ende beschämt hat. Ich zitiere aus dem Spiegel:



    „SPIEGEL: Frau Klein, Sie waren als Beobachterin in dem spektakulären Prozeß in Famagusta auf Zypern, in dem zwei Berliner Touristinnen wegen Totschlags schuldig gesprochen wurden, weil ein junger Zypriote, der sie überfallen und eine von ihnen vergewaltigt hatte, ihrer Gegenwehr zum Opfer fiel.



    KLEIN: Ich bin über den Schuldspruch erschüttert. Für mich unterstreicht dieses Ergebnis im Grunde genommen die unverständliche Beurteilung des Vorgangs einer Vergewaltigung auch international. Ich meine, die Frauenfrage hat an diesem Punkt einen schweren Rückschlag erlitten.“



    SPIEGEL: Wollten Sie mit Ihrer Mission bezwecken?



    KLEIN: Es ging darum, die Frage der Gewalt gegen Frauen im Sinne der Regierungserklärung des Berliner Senats politisch zu akzentuieren.



    SPIEGEL: Wie hat die zypriotische Öffentlichkeit auf Ihre radikalfeministische Haltung zur Männergewalt reagiert?



    KLEIN: Dieses Etikett radikal habe ich nicht sehr gerne, weil es sehr negativ ankommt und nichts zum Ausdruck bringt. Mich erschüttert, dass auch die deutschen Statistiken und Analysen zeigen, dass die Gewalt gegen Frauen extrem verbreitet ist, in erschreckendem Maße auch in der Familie: Alle drei Minuten wird ein Sexualverbrechen an einer Frau begangen. Zypern ist überall.



    SPIEGEL: Gerät die hochrangige Prozessbeobachterin in Zypern nicht automatisch in den Verdacht der Einmischung in innere Angelegenheiten?



    KLEIN: Von Einmischung kann keine Rede sein, da kam dort auch so an. Meine Reise hatte den Aspekt, diesen Frauen aus Berlin zu sagen: Ihr seid nicht allein, wir denken an euch.“



    - Das war Anne. Nicht ist ihr peinlich!



    Und ich muss Euch sagen:

    die 48-jährige Berlinerin und ihre 21-jährige Tochter wurden später vom Revisionsgericht freigesprochen!
  6. Und in Fortsetzung der Arbeit von Petra Kelly will ich einige Sätze von Anne zum Thema KSZE zitieren. Die Senatorinnen des damaligen rot-grünen Senats hatten eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Jahr 1990 in Berlin organisiert. Das war die 1. KSZE der Frauen. 350 Frauen aus 38 Ländern diskutierten über ihre Rolle im europäischen Friedensprozess. Den Eröffnungsvortrag hielt Anne Klein, damals war sie schon Senatorin a.D..



    „Uns eint weiter der Wunsch, endlich weibliche Sichtweisen in der Politik zur Geltung zu bringen und eine neue Bewertung und Neuverteilung der gesellschaftlichen Aufgaben von Frauen und Männern im Produktions- wie im Reproduktionsbereich zu erreichen. Schließlich eint uns das gemeinsame Gespür für die Dringlichkeit, die sogenannten globalen Probleme endlich anzupacken, sei es

    - die Abrüstung, die Ökologie oder die soziale Ungleichheit

    - die Völkerwanderungen

    - die Bevölkerungspolitik

    - die Gentechnologie

    - die Verständigung über die Vergangenheit als Voraussetzung dür die Zukunft.



    Bislang bauen ausschließlich Männer an dem, was sie „Gemeinsames Haus“ nennen. Frauen sind weder in der Bauleitung präsent. Sie ahnen zu Recht, dass sie wieder einmal für Küche und Besenkammer vorgesehen sind.“

 

  • Annes Arbeit war nie zu Ende.

Sie stürzte sich wieder in das Anwältinnen und Notarinnen-Dasein, in die anwaltliche Standesvertretung , in das Versorgungswerk wo sie Präsidentin wurde.



Und mischte immer mit in Fortbildungen und in Kommentierungen zu neuen Gesetzentwürfen. Von der sogenannten Riester-Rente bis zum neuen Unterhaltsrecht.



Sicher war, dass Anne alles, aber auch wirklich alles, mit großer Sorgfalt durchlas und sich meldete. Die angekündigte E-Mail kam prompt mit vielen Details und Beispielen von ihren Mandantinnen. Zuletzt beim Thema Sorgerecht.

 

  • Annes Kampf war nie zu Ende. Es ging ihr um Strukturen.

Anne wollte die klassische Mädchenrolle für sich selbst überwinden und gerechtere Strukturen für andere Frauen schaffen. Unermüdlich.



Sie war getrieben von einem Gedanken: es muss doch ein besseres Leben geben, nicht nur für mich.



So feurig und furios war auch die Beziehung von Anne und Babsi. Dir liebe Barbara will ich Respekt zollen und danken. Für die beeindruckende Begleitung von Anne im letzten halben Jahr. Das hat uns beeindruckt.



Und jetzt nehmen wir alles, was wir mit Anne erfahren und erlebt haben mit. Wir erinnern uns an sie, wo immer wir wollen. Einige von uns hatten noch die Gelegenheit mit ihr am 2. März, ihrem Geburtstag, aufs Meer zu blicken.



Anne Klein ist wie ein Fluss durchs Land geflossen, das hat das Land verändert und das Land hat Anne verändert.



Wir werden versuchen, das fortzusetzen.



Danke Anne.

 
 

Texte und Reden über und für Anne Klein